🌍 „Die Erde, die sich selbst erinnerte“
Ein Märchen über den Zyklus der Göttin
Es war einmal ein lebendiger Planet, rund und weich wie eine Schoßraumblüte. Ihr Name war Gaia, und sie war mehr als nur Erde – sie war eine Göttin. Eine uralte Alchemistin, deren Körper aus Flüssen, Feldern und Feuerherzen bestand. Ihre Haut war fruchtbar, ihr Atem voller Wind, und in ihren Tiefen schlug das Herz des Lebens selbst.
Doch Gaia war nicht allein. Sie war Teil eines größeren Tanzes – eingewoben in den Zyklus der Mondin, die in der Stille der Nacht silberne Geschichten sang. Die Mondin lenkte mit ihren magischen Armen das Wasser der Ozeane, das Blut der Frauen und das Erblühen der Knospen. Alles war Eins.
In Gaias Herzen wohnten vier Töchter, jede ein Aspekt ihrer Kraft. Jede erschien, wenn es Zeit war. Und Gaia sang sie in den Kreislauf der Welt.
🌱 Zuerst kam das Mädchen, leichtfüßig wie Frühlingswind.
Sie trug eine offene, weiße Blüte im Haar – Symbol der Neugier, der Sehnsucht und der ungebändigten Lebenskraft.
Sie fragte: „Wer bin ich?“ – und tanzte barfuß über den Morgentau.
Ihr Lachen weckte die Sprossen, und ihre Augen trugen das Licht der aufgehenden Sonne.
Ihr Symbol: die weiße Blüte.
🍎 Dann kam die Mutter, die Liebende, mit einem Apfel in der Hand.
Sie nährte mit ihrer Wärme, trug Früchte im Schoß und Gedichte im Herzen.
Sie sprach: „Ich gebe, was ich bin, und darin werde ich mehr.“
Sie lehrte Umarmung, Lust, Hingabe – das saftige Ja zum Leben.
Ihr Symbol: der Apfel.
🌒 Dann kam die Magierin, geheimnisvoll wie Nebel im Herbst.
Sie hielt eine Mondsichel in der Hand, aus der Tropfen der Erinnerung fielen.
Sie sprach mit Krähen und Kräutern, webte aus Licht Schatten und aus Schatten Licht.
„Ich bin die, die wandelt. Ich bin der Zauber zwischen den Welten.“
Ihr Symbol: die goldene Sichel.
🪞 Zuletzt trat die Weise Alte aus der Dämmerung.
Ihr Rücken war gebeugt vom Wissen, ihr Schoß leuchtete wie Glut unter Schnee.
In der Hand trug sie einen Spiegel – doch nicht, um das Äußere zu sehen, sondern um den Ursprung zu erinnern.
Sie sprach leise: „Ich bin die Krone aus allem, was war.“
Ihr Symbol: der Spiegel.
So tanzten die Vier im Kreis. Immer wieder. Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Gaia webte sie in Bäume, in Wellen, in Gebärmütter und in Herzen.
Und jede Frau trug sie in sich – als Erinnerung, als Kraft, als zyklische Wahrheit.
Doch in einer dunklen Zeit vergaßen die Menschen den Tanz.
Sie verbannten die Magierin, verjagten die Alte, entmachteten die Mutter und verniedlichten das Mädchen.
Die Erde wurde verletzt. Die Mondin verhüllt. Der Zyklus unterdrückt.
Doch in einem kleinen Dorf, auf einer Hügelkuppe, las ein Mädchen in einem alten Buch…
Sie öffnete ihren Kalender, fühlte den Puls in ihrem Becken – und erinnerte sich.
Und so begann der Tanz von Neuem.